Am Ende haben wir die Achter blind gemacht
Oktober 2022
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Eigentümlich geformte Konglomeratfelsen, Klöster, die zwischen Himmel und Erde zu schweben scheinen, herrliche Temperaturen bei schönstem Sonnenschein, zart gegrilltes Souvlaki und eisgekühlter Ouzo – das alles gibt es nur an diesem einen besonderen Ort: Meteora in Griechenland.
Nur zwei Flugstunden von Deutschland entfernt befindet sich im Herzen des griechischen Festlands eines der eindrucksvollsten Klettergebiete Europas.
Zauberhaft und nahezu mystisch ragen die schlanken Türme von Meteora Hunderte Meter hoch. Die Felsen bestehen aus Konglomeratgestein, geklettert wird also an großen und kleinen Kieseln, in Rinnen und Rissen. Insgesamt gibt es etwa 170 benannte Gipfel und über 700 Kletterrouten zum Sportklettern und für Mehrseillängen.
Diesen Oktober war es nach einer coronabedingten Pause endlich so weit: Eine Gruppe von zehn hochmotivierten Kletterinnen und Kletterern machte sich wieder einmal auf den Weg nach Meteora. Eine Kletterreise mit Tradition: Seit 1988 findet die Ausfahrt fast jedes Jahr statt – dieses Jahr in buntgemischter Gruppe aus alten Hasen und jungen Hüpfern.
Flughafen Nürnberg - an unserem ersten Treffpunkt konnte man die Aufregung und Vorfreude in allen Gesichtern deutlich ablesen. Nach einer Verschiebung der Reise von Mai nach Oktober und drei Vorbereitungskursen in der Hersbrucker Kletterhalle ging es nun endlich los. Naja fast. Unser Flug hatte erstmal eine deutliche Verspätung, also blieb genug Zeit zum Kennenlernen und um die Kletterführer schon mal ordentlich zu studieren. Einige Flugstunden und weitere kurvenreiche Autostunden später erreichten wir nun mitten in der Nacht unsere Unterkünfte im griechischen Dorf Kastraki. Hier wird Gastfreundschaft großgeschrieben: Mit viel Bier, Tsipouro und anderen Leckereien wurden wir von unseren Gastgebern trotz später Stunde herzlich empfangen.
Nach einer kurzen Nacht und einem üppigen Frühstück in der griechischen Morgensonne konnte keiner mehr die Füße stillhalten. Los ging es zum Hausberg, dem Doupiani. Mit kurzen und leichten Mehrseillängen bietet der Fels die besten Voraussetzungen für ein erstes Einklettern. Die Seilschaften waren schnell gebildet, dann ging es auch schon los. Ungewohnte Felsformationen, wenige Griffe, sehr große Hakenabstände und teilweise unklare Routenverläufe (oder unsichtbare Haken?) erfordern bereits am ersten Tag jede Menge Nervenstärke unserer Vorsteiger. Am Gipfel angekommen, waren wir sehr froh, dass wir uns auf die Erfahrung und das Wissen unserer erfahrenen Meteora-Kletterer verlassen konnten.
Bereits am ersten Tag hat uns Meteora in seinen bekannten Zauber eingehüllt. In traumhafter Kulisse, die uns jeden Morgen erneut staunen ließ, stiegen wir in den nächsten Tagen in unterschiedlichen Seilschaften hochmotiviert in die verschiedensten Routen ein. Am zweiten Tag bekletterten wir den Heiliggeistwächter über die Südwest- und Nordwestkante. Lange Runouts, brüchiges Gelände und Absicherungen mithilfe von Bandschlingen an windigen Büschen machten die Routen zu einem absoluten Abenteuer. Oben angekommen wird die Anstrengung sofort belohnt: Der Blick auf die umliegenden Felsen, die zahlreichen Klöster und die in der ferne liegenden Berge lassen uns staunend zurück.
Ein besonderes Highlight der Reise: Der Traumpfeiler am Heiligen Geist. 250 Meter Wandhöhe mit insgesamt neun Seillängen bieten ein wunderbares landschaftliches Erlebnis beim Klettern und hoch oben auf dem Gipfel. Kurz bevor wir einsteigen, kommt ein Mönch zum Wandfuß und gibt uns seinen Segen. Na dann, kann ja nichts mehr schiefgehen! Die ersten Längen sind leicht, erfordern aber jede Menge Nerven. Die Abstände der Haken sind groß, die ersten acht Meter geht es ungesichert über eine Platte. Weiter geht es über steile Passagen und einen schwierigen Riss. Hier erlernen die unerfahrenen Erstbesteiger eine neue Kletterart: Das Rampfen. Mit vollem Schultereinsatz quetschen wir uns durch die den schmalen Riss.
Ebenfalls in seinen Bann gezogen hat uns der Ypsilotera, ein Fels mit anspruchsvollem und langem Zustieg und vielen klassischen und abwechslungsreichen Routen. Gegenüber seinem Gipfel liegt das bekannte Kloster Metamorphosis. Oben angekommen kann man den vielen Tages-Touristen direkt in die verwunderten Gesichter schauen: Wie sind die Kletterer da bloß hochgekommen? In der Menschenmenge entdecken wir unsere Hersbrucker Kletterfreunde, die einen Kulturtag mit Klosterbesichtigung eingelegt haben und freuen uns über spektakuläre Fotos.
In den letzten Tagen steigt der Mut: Zwei der Seilschaften trauen sich in die „Linie des fallenden Tropfens“ am Sourloti-Fels. Kiesel um Kiesel geht es hier im sechsten Grad die glatte Wand hinauf. Dass zwischendurch das Sicherungsgerät verloren geht und die Abseilstelle fast nicht gefunden wird, macht das Erlebnis am Ende nur noch spektakulärer. Auch die anderen Seilschaften testen ihre Grenzen. Egal ob einzelne Seillängen oder eine komplette Route, alle trauen sich an den Vorstieg - in den langen spärlich gesicherten Passagen eine echte Herausforderung.
Apropos Herausforderung. Die größte stand uns am Tag der Abreise bevor. Pavlo, der Wirt unserer Stammtaverne schenkte uns zum Abschied 1,5 Liter Tsipouro. Umgefüllt in kleine Flaschen quetschten wir diesen in die letzten freien Ecken unseres Aufgabegepäcks. Ein letztes Mal war Fingerspitzengefühl gefragt.
Meteora 2022 - was für ein unglaubliches Erlebnis! Die Liste der begangenen Routen während unserer Reise ist nahezu endlos. Die Anzahl der spektakulären Abenteuer, der tollen Abende, der vielen Lacher und der vielen Gläser Ouzo ebenfalls. Kiesel um Kiesel sind wir ohne große Pausen geklettert, eine Route nach der anderen. Am Ende haben wir die Achter blind gemacht – natürlich die Knoten, nicht den 8. Grad.
Autorin: Lisa Haug